AFGHANISTAN: Flüchtlinge in Deutschland

Juni 2024, Kabul-Berlin (Mon-A, ZDF) Auf einer Konferenz in Potsdam haben sich die Innenminister der Bundesländer darauf verständigt, dass afghanische und syrische Flüchtlinge, die in Deutschland schwere Straftaten begangen haben, nach Afghanistan und Syrien abgeschoben werden können. Auf welcher rechtlichen Grundlage und wie dies praktisch geschehen soll, wurde der Presse am Ende der Konferenz jedoch nicht mitgeteilt. Deutsche Medienkommentatoren weisen darauf hin, dass eine Abschiebung nach Afghanistan eine Art Abkommen mit dem in Kabul herrschenden Taliban voraussetzt, welcher jedoch vom deutschen Staat nicht anerkannt wird.
Zwei Wochen vor der Potsdamer Konferenz hatten Bundeskanzler Olaf Scholz und Innenministerin Nancy Faeser die Notwendigkeit einer Abschiebung krimineller afghanischer Flüchtlinge angekündigt. Vorausgegangen waren zwei Vorfälle, über die in den deutschen Medien ausführlich berichtet wurde. Am 31. Mai griff ein afghanischer Flüchtling in Mannheim ein Mitglied der Anti-Islam-Bewegung PAX Europa mit einem Messer an, verletzte es schwer und erstach anschließend einen Polizisten. Und am 14. Juni verletzte ein weiterer afghanischer Flüchtling in Wolmirstedt einen Landsmann tödlich, griff eine Gruppe von Fußballfans an und verletzte drei Deutsche.
In dieser Situation erscheinen die Äußerungen des Bundeskanzlers und der Innenministerin logisch. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass sich die Regierung vollständig darüber im Klaren ist, wie die Situation von den in Deutschland lebenden Afghanen gesehen wird. Unter ihnen neigt man nämlich zu anderen Versionen der Ereignisse, die allesamt für Nancy Faeser ungünstig ausfallen.
Eine Quelle unter afghanischen Journalisten berichtet unter Berufung auf seine Kontakte zu informellen Führungspersönlichkeiten der afghanischen Gemeinschaft in Deutschland, dass sich in der afghanischen Diaspora inzwischen zwei grundlegend unterschiedliche Einschätzungen zu den von afghanischen Flüchtlingen begangenen Straftaten und dem daraus resultierenden politischen Handeln der deutschen Behörden herausgebildet haben. Die erste Einschätzung ist, dass es deutsche Behörden oder bestimmte Kreise in den Sicherheitskräften der Bundesrepublik waren, die die Situation mit den Gewalttaten der afghanischen Flüchtlinge provoziert haben.
Die Absicht der Behörden sei es, diese Situation dazu zu nutzen, eine drastische Änderung ihrer liberalen Migrationspolitik der „offenen Tür“ ohne „Gesichtsverlust“ zu rechtfertigen und Entscheidungen zu treffen, die darauf abzielen, bestimmte Gruppen von Afghanen und Arabern aus Deutschland auszuweisen. Dies soll zudem ein höheres Maß an Kontrolle über die muslimische Diaspora in Deutschland durch die Polizei und den Nachrichtendienst gewährleisten. Gleichzeitig soll es in den Augen der „Weltgemeinschaft“ nicht als Abkehr Berlins von seinem bisherigen liberalen Kurs erscheinen.
Die Befürworter dieser Einschätzung rechtfertigen sie mit dem Argument, dass die Polizei und der Nachrichtendienst über die Einstellungen, psychische Besonderheiten und Verbindungen der an den Vorfällen beteiligten Afghanen Bescheid wussten und sie dazu faktisch „verleitet“ haben, diese aufsehenerregenden Verbrechen zu begehen.
Diese Version ist unter den „alten Flüchtlingen“, d. h. der Welle afghanischer Einwanderer vor 2021, weit verbreitet. Unter ihnen ist die Angst groß, dass die Ausweisung auch „alte Einwanderer“ trifft.
Die zweite Version ist unter den afghanischen Flüchtlingen der jüngsten Welle (nach August 2021) geläufig. Es wird behauptet, dass es sich bei den Afghanen, die die im Juni in den Medien breit dargestellten Straftaten begangen haben, nicht um Afghanen, sondern um iranische Agenten handelt, die von Teheran im Zuge der afghanischen Flüchtlingsströme vor Taliban nach Deutschland geschickt wurden.
Ziel des iranischen Geheimdienstes: Als Reaktion auf destruktive Aktionen der Deutschland-Vertretung im Iran, die sich in den letzten Jahren sehr aktiv bei der Organisation von Protestbewegung gezeigt hat, Möglichkeiten zur Gegenwirkung in Deutschland zu schaffen. Die beiden Afghanen, so die zweite Version, sind iranische und pakistanische Staatsbürger, sie sprechen alle Dari mit iranischem Dialekt, sie hatten keine afghanischen Zivilausweise. Die Befürworter der zweiten Version machen auch deutsche Behörden für die Vorfälle verantwortlich, denn nach den Ereignissen im August 2021 hat das Außenministerium Deutschlands tatsächlich die massenhafte Einreise von Flüchtlingen aus Afghanistan in die Bundesrepublik ohne Einlasskontrollen zugelassen, obwohl deutsche Aufsichtsbehörden, die Polizei und der Nachrichtendienst sehr erfahren und hochqualifiziert sind.
Des Weiteren, nach Informationen aus Kabul und Taschkent hat die Taliban gegenüber Berlin signalisiert, dass man in Afghanistan die Rückkehr bestimmter Flüchtlingsgruppen nach Afghanistan wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage und der hohen Arbeitslosigkeit nicht unterstützt. Die Taliban bot an, Gespräche zu diesem Thema zu führen. Berlin ging darauf nicht ein, sondern entsandte ein Verhandlungsteam nach Taschkent. Diese Gruppe sollte mit den usbekischen Behörden über die Aufnahme der aus Deutschland auszuweisenden Afghanen verhandeln, sie aufnehmen und die anschließende Abschiebung nach Afghanistan übernehmen. Die Verhandlungen fanden auf der Ebene von Vertretern der Innenministerien beider Länder statt. Auch ein Vertreter der privaten afghanischen Fluggesellschaft Kam Air wurde dorthin eingeladen, um den Transport der Afghanen von Taschkent nach Kabul per Charter zu gewährleisten. Diese Gesellschaft lehnte jedoch eine solche Mission mit der Begründung ab, dass sie ihrem Image schaden würde.
Inzwischen gibt es unbestätigte Informationen, dass eine erste Gruppe von Afghanen aus Deutschland ausgewiesen und nach Usbekistan geschickt wurde. Unter ihnen befinden sich afghanische Flüchtlinge, die in Deutschland verurteilt wurden und in verschiedenen Gefängnissen in Deutschland ihre Strafe verbüßen. Es sollen 10 bis 14 Personen sein. Sie befinden sich bereits in Usbekistan, aber die Frage ihrer Weiterreise nach Afghanistan ist noch nicht geklärt. Quellen in der Taliban-Führung in Kabul sagen, die Taliban gehe davon aus, dass Usbekistan die aus Deutschland eintreffenden afghanischen Flüchtlinge nicht sofort nach Afghanistan abschieben wird, da deutsche Behörden Taschkent wahrscheinlich Geld versprochen haben, um diese Menschen vorübergehend in ihrem Gewahrsam zu behalten. Nach und nach werden Kabul, Taschkent und Berlin in dieser Frage eine Einigung zum beiderseitigen Nutzen erzielen, so die Taliban-Führung. Die Quellen schätzten ein, dass in der Taliban-Regierung eine gewisse Unzufriedenheit darüber herrscht, dass deutsche Behörden an der Taliban vorbei eine Vereinbarung mit Taschkent in der Afghanistan-Frage getroffen haben, doch im Allgemeinen möchten die Behörden in Kabul normale Beziehungen zu Deutschland unterhalten.